St. Michaelskapelle
Andernach | Fenstergestaltung | Das neue innere Strahlen
Die um 1200 erbaute Michaelskapelle, frühere Friedhofskapelle des ehemaligen Augustinerinnenklosters St. Thomas und heutiger Gottesdienstraum der katholischen Gemeinde St. Albert, erfuhr nach langer ungenutzter Zeit eine Revitalisierung. Nachdem die Außenhülle des Gebäudes 2017 saniert wurde, folgte 2018 die Innenrenovierung. Infolgedessen wurde ein Wettbewerb für die Gestaltung der Kapellenfenster ausgeschrieben, bei dem der niederrheinische Künstler Jürgen Drewer die Kirchengemeinde in Andernach mit seinen Entwürfen überzeugen konnte.Heute zeigt sich die zweigeschossige Kapelle nicht nur äußerlich in einer einmalig in Europa vorkommenden baulichen Ausführung und mit signifikanten Merkmalen, sondern besitzt auch im Inneren, aufgrund ihrer hellen, modernen und farblich akzentuierten Besonderheit, eine einzigartige Ausdruckskraft. Nicht zuletzt ist dieses außergewöhnliche Zusammenspiel von Raum, Farbe und Licht im Inneren der Kapelle der farbreichen und doch sakral-kontemplativ anmutenden Lichtwirkung zuzuschreiben, die Jürgen Drewer durch die Fenstergestaltung auf den Wänden und dem Boden der Michaelskapelle entstehen lässt.Der Künstler gestaltete 2018/2019 die insgesamt 7 Fenster anlehnend an das Wettbewerbsthema und bezugnehmend auf die Schöpfungsgeschichte. Hierbei bezieht sich Drewer jedoch nicht auf die 7-tägige Geschichte, in der die Erschaffung der Welt als einzelne, aufeinanderfolgende und schließlich vollendete Handlung beschrieben wird. Vielmehr kann seine konzeptionelle Ausarbeitung der Glasflächen als Zyklus eines stetig wiederkehrenden Schöpfungsprozesses gesehen werden. Darstellend durch die Eigenschaften des periodischen Entwicklungskreislaufes wie Ebbe und Flut, den Jahreszeiten oder den Wechsel von Tag und Nacht zeigt sich die Gesamtheit des schöpferischen Mechanismus im korrelativen Bestehen der Welt.
In der künstlerisch-gestalterischen Umsetzung wurde dementsprechend bewusst auf eine konkretisierte Visualisierung der Schöpfungsgeschichte verzichtet und die ursprüngliche Thematik ausschließlich assoziativ durch die Farbgebung und Flächeneinteilung aufgegriffen. Somit wird vom Künstler für jeden einzelnen Besucher gedanklicher Freiraum beabsichtigt, durch den die individuelle Interpretation der Betrachtungsweise stattfinden darf, das Erfahren eigener Gefühlswelten Platz erhält und diese entsprechend wahrgenommen werden können.
Auf diese Weise entsteht ein ganz grundlegender Aspekt Drewers Arbeit. Er selbst sagt über die Methode seines Arbeitens, dass für ihn das Assoziative im Betrachter anzuregen, gerade im Hinblick auf sakrale Räume von großer Bedeutung sei. Dies kann dem Menschen für das “Innehalten“ – das Wahrnehmen der eigenen Gedanken und Empfindungen eine große Hilfe bieten. In seiner eigenen Wahrnehmung lassen die Fenster beispielsweise farblich und formsprachlich Kontinente, Meere und Himmel assoziieren, was auf den segmentierten Prozess der Schöpfung verweist, jedoch die Ganzheitlichkeit und die Zusammenhänge mit einschließt.In diesem Sinne kann jedes Fenster für sich bestehen und gesehen werden oder alle Scheiben als ein zusammenhängendes Werk Betrachtung finden. Bei Letzterem generiert die wiederkehrende farbliche Gestaltung die Zusammengehörigkeit der einzelnen Fenster zueinander, wobei zusätzlich ein optischer Konnex aller Fenster über die Anordnung der gelben Flächen sichtbar gemacht wird, die durch ihre Komposition eine visuell durchgehende Formgebung suggerieren. Die von Jürgen Drewer vorrangig verwendeten Farben blau, gelb und grün erinnern an die Farbigkeit mittelalterlicher Gemälde. Auch wenn dem Zeitalter eine stringente Dunkelheit zugeschrieben wird, nahmen Farben eine wichtige Rolle ein und die Darstellungen der Malerei waren selten finster und trist. Durch den Rekurs an mittelalterlich tradierte Farbkompositionen, wird die zeitliche Einordnung der Erbauung des Gebäudes von außen nach innen transformiert. Substanziell bezieht sich die Farbauswahl Drewers jedoch auf die künstlerisch geschaffene Verbindung zu den Naturelementen wie Wasser, Luft, Erde und dem daraus resultierenden Wachstum von Pflanzen. Diese stellen für ihn die im Schöpfungsprozess vorhandene Gegensätzlichkeit bei simultaner Zusammengehörigkeit dar und werden in seiner Arbeit durch die Polarität der farbigen Flächen zum Ausdruck gebracht.
Blau ist für Jürgen Drewer die Farbe des Himmels, der Ferne, der Sehnsucht und somit der Unendlichkeit und Immaterialität. Zudem symbolisiert blau für ihn das Geistige, das nicht Greifbare und kann dadurch auch als Sinnbild der Ruhe verstanden werden.
Greifbar, erläutert Drewer, erfahren wir die Schöpfung als Wirklichkeit, in die wir selbst eingebunden sind. So gewinnt die Schöpfung ihre Leuchtkraft und Farbe von dem Ziel her, sie zu erhalten.Diese Leuchtkraft und Farbigkeit finden wir in den Fenstern wieder, die es dem Betrachter aufgrund der abstrakten Arbeitsweise ermöglichen nicht nur intellektuell, sondern auch innerlich, auf emotionaler Ebene, in die Thematik einzutauchen.
Die schwarzen und grünen linienartigen Flächen auf der Glasoberfläche assoziiert der Künstler mit Lebenswegen, mit Lebenseinschnitten und Lebensabschnitten, die uns im Schöpfungsgeschehen permanent begleiten.
Gerade die Schwarzen Linien stellen einen Kontrast zu den größeren farbigen Flächen dar, durchzeichnen diese und erzeugen für unser Bewusstsein die Relation zwischen Inhalt und Form, so dass der Bezug zu unserer eigenen Existenz und individuellen Lebenswegen geschaffen wird.
Drewer integriert durch die Auswahl des Materials und die methodische Verarbeitung des Glases die Natur nicht nur farblich in seine Arbeit, sondern macht sie zu einem wesentlichen Teil der Wirkungskraft seiner gestalteten Fenster. Er verweist hiermit umso deutlicher auf die Bedingung einzelner wechselseitiger Komponenten im Prozess der Schöpfung.
Die Lichteinstrahlung wird mittels des Überfangglases weit in den Raum geführt und lässt so die Farbigkeit der Fenster auf den Wänden und dem Boden erstrahlen. Das durch die Transparenz der Gläser entstehende Farbspiel entfaltet je nach Jahres- und Tageszeit, Sonnenstand und Lichteinfall seine Wirkung in unterschiedlicher Weise und Intensität. Somit vollzieht sich ein beständiger Wechsel von Eindrücken. Die Sonne übernimmt einen ganz wesentlichen Teil im täglichen schöpferischen Prozess und lässt so die Interpretation Drewers im Inneren der Kapelle sichtbar werden.
Drewers Arbeit taucht den dezent gestalteten Raum in ein polychromes Licht und erzeugt eine sakral-mystische sowie beschauliche Stimmung, die den Besucher in seinem geistigen Prozess anregt und einlädt in einer unvergleichlichen Atmosphäre den Gottesdienst zu feiern oder zur Ruhe und zu sich selbst zu kommen.
© Neeke Reisinger | Juni 2019
St. Michaelskapelle
Andernach | 2019
Material + Abmessungen
Überfangglas geätzt | bemalt | auf Floatglas laminiert
7 Fenster je H 300 cm | B 105 cm
Realisierung
mit Glasmalerei Hein Derix | Kevelaer
Ausführung mit Berthold Janke | Antek Nikrandt
Projektbegleitung + Altarentwurf
Thomas von der Stein | Bistum Trier
Entwurf Kreuz
Eva von der Stein | Aachen
Architektur | Gesell + Kriesten Architekten | Andernach
Fotos ©
Astrid Garth | Heidesheim
Dr. Werner Schneichel | Andernach
Stefan Dumont | Andernach
Lisa Reisinger | Nettetal
Ernst und Annette Jansen-Winkeln | Mönchengladbach
Forschungsstelle Glasmalerei des 20. Jahrhunderts E.V.
Anschrift | Breite Straße 110 | 56626 Andernach